Kurzbiographie von Bediüzzaman Said Nursi

„Je mehr die Zeit vergeht, desto jünger wird der Koran. Seine Zeichen werden offensichtlich.“ Said Nursi 


Bediüzzaman Said Nursis (1876 – 1960) Leben ist in drei Phasen gegliedert, „Erster Said“, „Zweiter Said“ und „Dritter Said“. War er ein politisch engagierter und in der Gesellschaft seiner Zeit aktiver Bediüzzaman (Ehrentitel „Mann der Zeit“) während der ersten Phase, so wandte er sich in der zweiten Phase, ab seiner persönlichen Verfolgung und Verbannung, ganz den Innenwelten zu und dem Koranstudium. Die Phase „Dritter Said“ ist dann gekennzeichnet durch die Vereinigung dieser beiden Welten, der Welt des Geistes und der Welt der Erfahrung, in Handlung, Lehre und Wirken als Gelehrter.

Wie sein Leben in dieser die Türkei, die islamische Welt und den ganzen Globus bewegenden Zeit voller Erschütterungen so ist auch Said Nursis Denken geprägt von einer ganzheitlichen Sicht, die den Verstand, das Herz und die Gefühle miteinbezieht gemäß der koranischen Art der Darlegung der Glaubenswahrheiten. Im Koran, den er in immer tieferer Weise studierte, erkannte er den Lehrmeister der Menschen zu einem bleibenden Glück, für ihn ist der Koran ein Spiegel der Prinzipien des Schöpfers des Universums und das Universum ein großes Werk, das mit der Weisheit des Korans zu lesen ist und betrachtet werden sollte. 

Der Grundsatz dieses Universums ist die Barmherzigkeit und eine unendliche Weisheit sowie Einheit und Zusammenwirken seiner Geschöpfe. Alle Schönheiten weisen aber auf den Schöpfer. Nicht nur sich selbst machte er diese koranische Betrachtungsweise zu eigen, sondern Bediüzzaman lehrte auch viele Menschen, diesen zu folgen und ein am Koran orientiertes Leben zu führen. »Je mehr die Zeit vergeht, desto jünger wird der Koran. Seine Zeichen werden offensichtlich.« 

Dabei sind stets die inneren Glaubenswahrheiten die entscheidenden, nicht die äußeren: »Scharia, der Weg der Religion, besteht zu 99% aus Ethik, Gebet, Jenseits und Tugendhaftigkeit. Nur 1% ist Rechtsordnung. Und dies ist die Sache des Staates.« 

Aufgrund seines tiefen Wissens zeigte er den Muslimen einen Weg auf, indem er durch die Vereinigung von Religion, Philosophie, Mystik und Naturwissenschaft ein positives Zusammengehen dieser Kräfte im Islam ermöglichte. Besonders die Wissenschaften waren ihm sehr wichtig, sah er doch die Zukunft der Menschen im geistigen Bildungszuwachs. Er verglich die Religion und die Wissenschaften zwei Lichtern, die zusammenwirken müssen, wenn der Geist fliegen soll: 

»Die Wissenschaft der Religion ist das Licht des Gewissens. Die Naturwissenschaft der Zivilisation ist das Licht des Intellekts. Die Wahrheit wird offenbar durch die Vereinigung der beiden, was Ansporn und Initiative erweckt. Wenn sie getrennt sind, erscheint Ignoranz und Fanatismus in der Religion und Fehlschlüsse und Skeptizismus in der Wissenschaft.« 

Hier bezeichnet Nursi die Religion als das Licht des Gewissens, sie soll eine freie Entfaltung im positiven Sinn ermöglichen, weshalb er auch für islamische Welt eine Lösung der Probleme zuallererst im 

Wissen sah, in einem geistigen Prozess, nicht in einem politischen Projekt. 

»Ich bin gegen jede Art von Unterdrückung. Wo ich sie sehe, erhält sie von mir einen Schlag. Für mich ist die Unterdrückung der Wissenschaft das Schlimmste. Ich kann ohne Brot leben – aber nicht ohne Freiheit. Nur in Freiheit kann alles gedeihen. Je mehr sich Glaube entwickelt, desto edler wird die Freiheit.« 

Dabei sieht Bediüzzaman auch Feinde. Seine Feinde sind aber geistiger Natur: 

»Wir haben drei Feinde. Es sind Unwissenheit, Armut, Uneinigkeit. Diesen drei Feinden werden wir mit Wissenschaft, Qualifizierung und Einigkeit entgegentreten.« 

Dieser Einheit der Muslime und der gläubigen Menschen widmete Said Nursi seine ganze Aufmerksamkeit. Für die Auseinandersetzung schlägt er vor, die Gemeinsamkeiten zu sehen und der Unterschiede bewusst zu bleiben, aber: zerstören, vernichten, verbieten – solche Begriffe kommen in seinem Wortschatz der Auseinandersetzung nicht vor. Nicht mit Verboten, sondern durch geistig-wissenschaftliche Aufklärung der Menschen kann Missbrauch der Religion verhindert werden. Deshalb hat er auf Hass, Feindseligkeiten, Streit und Zerstörung beruhende und zu solchem führende Auseinandersetzungen nicht geduldet. Für den Dienst am Glauben und für das Wohl der Menschheit ist es notwendig, dass man die Streitthemen mit den anderen Religionen und Richtungen beiseite legt und gemeinsam arbeitet und sich für das Wissen und Gedeihen einsetzt, denn Bediüzzaman pflegte auch selbst die Askese und die Bescheidenheit, weil der wahre Reichtum nicht in den weltlichen Gütern, sondern im Reichtum des Herzens und im Geist zu finden ist. Denjenigen, die Hass und Schuld nach außen projizieren, empfiehlt er: 

»Suchst Du nach einem Feind, so genügt Dir Deine Begierde (nefis). Tatsächlich wird der, welcher sich selbst gefällt, vom Unglück heimgesucht und vom Unheil geplagt. Derjenige, der nicht selbstgefällig ist, findet seine Freude und empfängt Gottes Barmherzigkeit.« 

An anderer Stelle: „Wenn du hassen möchtest, dann hasse den Hass in deinem Herzen und bemühe dich, ihn auszumerzen“. Aber Bediüzzaman bleibt nicht dabei stehen, er will auch den Verstand und die Vernunft der Menschen durch Wissen aktivieren: 

»Diese Welt ist eine Erfahrungswelt. Hierbei kann man dem Verstand die Tür öffnen. Den freien Willen aber darf man nicht antasten. Wenn jedoch in einem Menschen dessen Emotionen und Instinkte die Oberhand haben, hört er das Urteil des Verstandes nicht.« 

Daran lässt sich sehr schön sehen, wie Said Nursi dachte. Er war ein nach innen und auf den Schöpfer ausgerichteter Mensch, der asketisch und bescheiden war, der sich jedoch nicht blind für die Realitäten dieser Welt und ihrer Zeit zeigte. Die Wichtigkeit in einer Welt, wo nach Nursi der Krieg keine Gewinner mehr kennt, liegt damit ganz auf der Anstrengung um das Wissen und die ganzheitliche Bildung. Für diesen „spirituellen Dschihad“ hat Bediüzzaman Said Nursi Konzepte und Methoden angeboten, die er im Koran vorfand und die ein positiv-konstruktives Handeln ermöglichen. 

Was ist Positiv-Konstruktives Handeln? 

1. Sich positiv verhalten, das heißt, sein Verhalten in der Liebe zum eigenen Weg ausrichten, Feindschaft gegenüber anderen Wegen, ihren Fehlern und Mängeln nicht nähren, ihr Wissen und Denken nicht kritisieren und sich mit dergleichen Dingen nicht beschäftigen. 

2. Was aber das Recht eines jeden betrifft, der den rechten Weg geht, so sollte man einen anderen auf seinem Weg nicht belästigen, sondern vielmehr sagen: „Ich befinde mich auf dem rechten Weg.“ oder „Mein Weg ist der bessere.“ Man sollte auch nicht andeuten, dass der Weg eines anderen unrichtig oder unschön sei, oder sagen: „Richtig ist einzig mein eigener Weg.“ oder „Gut ist einzig meine eigene Sichtweise.“ und sich so eine vernunftgemäße (Sichtweise) zum Wegweiser machen. 

3. In Betracht ziehen, dass die Einheit mit den Leuten der Wahrheit eine Bedingung des von Gott kommenden Erfolges und der Ankergrund der Ehre im religiösen Leben ist. 

4. Und ferner sollte man sich vor Augen führen, dass auch der stärkste Widerstand eines Einzelnen gegen die Angriffe eines kollektiven Genius der Leute des Irrweges und der Ungerechtigkeit, der ihnen aus ihrer Solidarität erwächst, durch die Einheit unter den Leuten der Wahrheit besiegt werden kann, wenn auch sie ihrerseits eine solche gemeinschaftliche Kraft formen, um Recht und Gerechtigkeit angesichts dieser furchtbaren gemeinschaftlichen Kraft der Leute des Irrweges zu bewahren. n